top of page
AutorenbildMichael Wälti

Technisches Setup für Video-Calls (oder wieso mein Vater Bügelfalten in meine Hosen machte)



Von 2008 bis 2014 lebte ich in Holland. Ich habe dort Bühnentanz studiert und als professioneller Tänzer gearbeitet. Bei meiner Rückkehr nach Bern befanden sich nur einige

hundert Franken auf meinem einzigen Konto. Meine Kleidung bestand fast nur aus Fundstücken. Zu weit, zu eng oder allgemein eher unförmig. Als ich mich später als Choreograf mit Körpersprache und Kostümen befasste, wurde mir bewusst, dass Kleidung oder ein Kostüm eine Form von Selbstwertschätzung ist. Jetzt kaufe ich zwar nicht Gucci, aber immerhin Kleidung mit dem richtigen Schnitt und gutem Stoff.


In der virtuellen Welt sehen wir die oben beschriebene Situation auch. Ein erstaunlich grosser Anteil von Sprecher*innen in Videokonferenzen verwenden ein Setup, das uns schlecht aussehen lässt. Viele von uns wurden durch Corona eher unsanft in diese Welt des zwei-dimensionalen bewegten Bildes gestossen und wir schwimmen in unsicheren Gewässern. So erhielt ich in den vergangenen 12 Monaten in meinem Körpersprach-Unternehmen dutzende Anfragen für Coachings im Bereich Video-Call und Videos auf den sozialen Medien. Und immer wieder kam auch die Frage: «Was brauche ich denn für eine Kamera?». Was also brauchen wir, damit wir online nicht mehr nach Brockenstube aussehen (und klingen...)?


Kamera


Wenn jemand übergrosse schwarze Kleidung trägt, wirkt das bedrohlich (z.B. radikale Demonstrant*innen oder amerikanische Richter*innen), weil wir die Bewegung dieser Person schlechter abschätzen können. Fehlen uns Informationen, dann gehen wir gewohnheitsmässig in die negative Sicht der Situation. Jemand könnte etwas verstecken

wollen: Wenn eine fremde, grosse und kräftige Person mit verborgenen Armen hinter dem Rücken gerade auf uns zu geht, nehmen wir an, dass diese Person z.B. ein Messer verstecken könnte. Unser limbisches System im Gehirn schützt uns so seit Millionen von Jahren vor

Gefahr. Wenn die Online-Abbildung unseres Gegenübers verschwommen, unscharf oder zu dunkel ist, denken wir deshalb unterbewusst schlechter über diese Person, weil uns Informationen fehlen: weniger vertrauenswürdig, emotional schwieriger einzuschätzen und dadurch unnahbarer. Wir wollen keine Beziehung eingehen. Deshalb brauchen wir erstens ein passendes Oberteil zur Kleidung: Eine gute Kamera.


Bei Webcams gibt es 720 Pixel, 1040 Pixel oder 4K (4000 Pixel). 8K kommt zwar, ist derzeit aber noch sehr teuer bei zu wenig Qualitätsgewinn. Ich dachte ja als Körpersprach-

Experte: «Hach, Youtube... Das kann ich sicher auch, kein Problem». Ich startete meinen zweiten Anlauf spontan mit meiner Laptop-Kamera: 720 Pixel. Körnig, Farben komisch

und irgendwie «bää». Dann habe ich eine Webcam von Aukey für ca. 50.– Franken gekauft: Schärfer, Farben immer noch komisch. Gopfertelli! Dann habe ich die Logitech Brio 4K für 200.– gekauft und das war's: Das war Gucci, aber für deutlich weniger Geld.





Ich habe kürzlich mit einem Kollegen aus der Fotografie, Remo Zehnder, darüber gesprochen: «Once you had 4K, you never give it away.» Schöne Farben, scharfes Bild und

plug and play. Die Brio zeigt nur Schwächen beim Scharfstellen: Wenn man sich zu sehr bewegt, verliert sie den Fokus. Da Online-Tanzparties sowieso sehr lahm sind, reicht

sie für unseren Alltag aber völlig. Für Online-Fitness und ähnliches könnte es ein störender Faktor sein. Das Oberteil sitzt, aber es fehlen uns noch weitere Teile.


Ton


Vermutlich hast du bereits ein Zoom-Video-Fail gesehen, bei dem ein Teilnehmer (tendenziell männlich) oben den perfekten Anzug trägt und dann macht er diese eine

falsche Bewegung und wir sehen, dass er aus Gemütlichkeit oder Hitzestress die Hose weggelassen hat. Ähnlich verhält es sich mit dem Ton. Der Ton ist der aus Bequemlichkeit

vergessene Zweite.


In meinen ersten Youtube-Filmen benutzte ich ein Lavelier- Mikrofon. Dieses ist allerdings umständlich: Das Kabel ist ständig im Weg und man muss es vor jedem Gebrauch

erst richtig einstellen und testen. Bei meinem zweiten Anlauf, verwendete ich das Laptop-Mikrofon und dachte: Das klingt ja eigentlich ganz gut! Dann las ich auf einigen «How

to Youtube»-Blogs, ich müsse unbedingt ein Mikrofon kaufen. Und ich dachte: «All die Umsatzeinbussen wegen Corona und jetzt noch ein Mikrofon ...» Bis ich den Laptop

an meine Stereoanlage anschloss und meine Stimme hörte. Ich hatte keine Hose an.


Am gleichen Abend klickte ich mich durch die Online-Einkaufsmeile und entschied mich

schnell für RØDE. Ich bin Körpersprach-Experte und RØDE machen in ihrer Kommunikation fast alles richtig. Tja, gute Kommunikation wirkt. Ich entschied mich für das mit

100.- Franken relativ günstige RØDE NT Mini USB, denn mich interessierte nur die «Range» von 20 Hz – 20 kHz.


Die Bass-Lage unserer Stimme transportiert unsere Überzeugungskraft. Nicht nur das: Wenn eine Gruppe Männer miteinander spricht, passen sich unwillkürlich die Stimmfrequenzen

an die Stimme des dominantesten Mannes in der Gruppe an (vgl. Puts et ali. 2007.) Eine tiefe Stimme ruft fast immer Entspannung hervor und mit hoher Stimme kreieren wir Spannung und Emotionen.


Damit wir also in der Online-Interaktion nicht die natürlichen Effekte der Stimme einbüssen, sind die 100.– Franken ein kleiner Preis mit grosser Wirkung. Die Hose sitzt. Es gibt übrigens auch Webcams mit eingebautem Mikrofon. Vergiss das. Das ist, wie wenn wir aus dem Oberteil des Anzugs eine Hose schneidern wollen. Ich hatte ein eingebautes Mikrofon in meiner Aukey Webcam – das war nicht mal auf dem Niveau von Chicorée. Hör dir das gerne bei meinem Youtube-Film zum Thema genauer an.


Licht


Uns fehlen noch die Schuhe. Und letztlich nützt uns die beste Kleidung nichts, wenn man sie nicht richtig sieht. Hier ein Tipp: Ja, benutz das Tageslicht deines Fensters, aber steh oder sitz nie im Gegenlicht. Das Fenster muss vor uns sein, d.h. die Kamera schaut nicht ins Fenster. Unser Gesicht muss leicht abgewinkelt zum Fenster sein, damit die Kamera die Gesichtsform besser wiedergibt. So nützen wir das Tageslicht optimal.


Tageslicht hat eine Farbtemperatur von über 5000K. Für Konferenzen tagsüber brauchen wir mindestens eine zweite Lichtquelle mit mehr als 5000K, damit wir die zweite Seite unseres Gesichts gut ausleuchten können.


Der Grund, weshalb öffentliche Anlagen wie Bahnhöfe, Parks in Grossstädten oder Züge und Busse immer so hell beleuchtet sind, liegt in unserem ebenfalls über Millionen Jahre eingeprägten Verhältnis zu Licht und Dunkelheit. Licht schafft Vertrauen (wir sehen alles), Sicherheit (wir haben Zeit zu reagieren) und Kontrolle (klare Verhältnisse schaffen klare Entscheidungen). Schatten und Dunkelheit bedeuten Aufregung, Gefahr und Geheimnis. Wenn wir also Gucci tragen, aber keine Mafiafilm-Stimmung wollen, brauchen wir klares Licht statt zwielichtiges, verrauchtes Hinterzimmer-Licht. Das abendliche, warme Licht wirkt aber nicht nur spannender, sondern auch besser für informelle Gespräche, wenn wir Freundschaft, emotionale Nähe und Entspannung wollen – also mit Menschen, mit denen wir intimere Beziehungen pflegen als nur Business.


Da ich auf Youtube keine Mafia-Geschichten erzählen wollte, stöberte ich erst online herum und las dafür Horror-Geschichten über Leuchtmittel ohne Akkus, über mehr als ein Dutzend verschiedene Arten von Akkus und vor allem wütende Reviews. Also: Maske auf, ins Tram

zum Zytglogge und zu Foto Zumstein. Einer freundlichen Frau im Laden erklärte ich, ich sei jetzt Youtuber (willst du meinen Kanal abonnieren?), und sie zeigte mir drei LEDLeuchtmittel.





Das günstigste Licht (40.– Franken) sah mir zu billig aus (zu wenige LED pro Fläche macht hartes Licht) und das teurere Licht mit 120.– Franken hatte keinen Vorteil gegenüber

dem 60.– Franken-Modell, ausser, dass es rund war. Nachdem die freundliche Frau zwei Mal im Lager war und es drei Mitarbeiter*innen brauchte, bis schliesslich ein junger Herr den endlich passenden Akku auf die richtige Spannung einstellte, entschied ich mich für das GODOX LEDP120 C für 60.– Franken mit passendem Akku für 20.– Franken. Dieses steht jetzt auf einem Stativ auf einer Box, damit es von diagonal oben meine zweite Gesichtshälfte

seitwärts in ein weiches Tageslicht taucht. Abends kann ich es mit dem Regler auf um die 3000K ins warme Lichtspektrum herunterfahren. Nice shoes!


Wenn wir weniger Geld ausgeben wollen, kaufen wir einfach eine Glühbirne mit mehr als 5000K und verwandeln so unsere Leselampe in ein Video-Leuchtmittel.


Fazit


Ein praktisches Setup für wenig Geld und viel Wirkung beinhaltet eine Webcam mit 4K, ein Mikrofon mit 20 Hz – 20 kHz Reichweite und eine zweite Lichtquelle neben dem Tageslicht oder Zimmerlicht. Mehr brauchen wir höchstens für TV-Interviews. Aber unscharfes Bild, scheppernder Ton und falsches Licht senken unseren Wert. Als ich noch ein Teenager war, wollte mein Vater mir immer Hosen kaufen, während ich mit meinen löchrigen Jeans gegen die Gesellschaft rebellierte. In der Hoffnung, dass sein Sohn einen besseren Eindruck macht, schreckte er nicht mal davor zurück, Bügelfalten in meine Hosen von damals zu bügeln. Heute liebe ich ihn dafür und bin etwas weiser, dass man mit wenig Aufwand mehr Eindruck hinterlassen kann: Mit passender Kleidung halt.


Hast du noch fragen? Welches Equipement verwendest du? Hast du gerne Video-Calls? Hinterlasse einen Kommentar. Wenn dir der Artikel gefällt, klicke das Herz für ein Like. Vergiss nicht, den Artikel auf deiner Social Media zu teilen.

Kommentare


Versuche es später erneut.
Sobald neue Beiträge veröffentlicht wurden, erscheinen diese hier.
bottom of page