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AutorenbildMichael Wälti

"HALTUNG BEWAHREN!" Teil 2: Wie wir langes Sitzen mit möglichst wenig Schmerzen überstehen.

Sitzungsmarathon! Stundenlang fast regungslos am Tisch sitzen. Sitzungen sind die Folterknechte der Arbeitswelt. Auch sonst wird viel gesessen: bei der Arbeit, in der Weiterbildung, im ÖV und in der Bar beim Feierabendbier. Bereits im ersten Teil dieser Serie habt ihr gelesen, dass wir zu viel sitzen. Die Folgen: schwache Muskeln und Sehnen, verkürzte Hüftbeuger-Muskulatur, überdehnte Körperrückseite, verkürzte Körpervorderseite, oberflächliche Atmung, nach vorne fallender Schildkröten-Kopf, mangelhafte Durchblutung der Beine und dadurch miese Laune. Da der Körper in einer "ruhenden" Situation ist, fährt der Kreislauf herunter: Die Konzentration schwindet und der Geist wird träge (unser Gehirn ist immer noch Jäger und Sammler). So entsteht viel unproduktive Arbeitszeit. Ich würde mir "Stehungen" statt Sitzungen wünschen. Oder "Spazierungen". "Spielungen"? Je mehr Bewegung ihr in eure Sitzungen einbaut, desto produktiver werden sie – aber das ist ein anderes Thema für einen anderen Blogeintrag. Erst müssen wir verstehen, was die krumme Sitzhaltung mit uns macht.

Ein Experiment zu Haltung und Konzentration

Falls ihr gerade keine Zeit für Experimente habt, dann überspringt dieses Kapitel.

Nimm einen Stuhl und dein Telefon, um einen Alarm einzustellen. Im ersten Durchlauf sitzt du ganz vorne auf dem Stuhl, so dass die Sitzknochen senkrecht auf der Sitzfläche ruhen (wenn du deine Sitzknochen nicht kennst, scrolle etwas weiter herunter zum Bild). Richte dich dann auf: mach den Unterrücken lang, aber drück ihn nicht ins Hohlkreuz, zieh das Brustbein hoch, ohne dass sich die Rippen zu stark nach vorne öffnen, lass das Kinn entspannt nach unten fallen (als würdest du leicht das Kinn anziehen, aber ohne Kraft), halte den Blick geradeaus, lege die Handinnenflächen auf die Oberschenkel und zieh den Scheitelpunkt so hoch, wie es geht (den Scheitelpunkt findest du, wenn du hinter den Ohren mit beiden Händen eine senkrechte Linie nach oben zeichnest: dort wo sich die Finger berühren). Stelle den Alarm auf 2 – 5 Minuten. Schliesse dann die Augen und sitz einfach. Beobachte deine Gedanken und dein Befinden. Wenn du willst kannst du deine Atemzüge zählen. Schreib danach einige Stichworte auf oder merk es dir einfach.



Wie die Sitzknochen auf dem Stuhl ruhen

Im zweiten Durchlauf lässt du dich so richtig in dich selbst zusammenfallen: zieh das Brustbein ein, lass das Kinn nach vorne unten fallen, den Blick kannst du eher nach unten richten, lass die Halsmuskulatur kollabieren, rolle das Becken ein, so dass der Unterrücken nach hinten herausgedrückt wird und finde eine beliebige Position für die Arme. In Kürze: lass dich so richtig in die Seile fallen. Mach dich überhaupt nicht lang. Stell wieder den Alarm auf 2 – 5 Minuten. Wie vorher, beobachtest du deine Gedanken und dein Befinden. Notiere danach wieder einige Adjektive.

Was stellst du fest?

Ich mache diese Übung häufig in meinen Workshops. Die Erkenntnis der TeilnehmerInnen lautet praktisch Unisono, dass bei gerader Rückenhaltung die Gedanken klar und fokussiert sind (Atemzüge zählen fällt leicht), während bei krummer Haltung die Gedanken stürmisch wandern und negative Emotionen entstehen (Atemzüge zählen fällt schwer). Wie war das bei dir? Hinterlasse gerne einen Kommentar unten.

Kein Mensch sitzt lange aufrecht

Manchmal sehe ich Leute, die sich kurzzeitig versuchen aufzurichten, um wenige Minuten später wieder gekrümmt in den Stuhl zu sinken. Ich glaube deshalb, der Körper braucht Unterstützung, denn so bald unsere Aufmerksamkeit nicht mehr bei der Haltung ist, sondern wieder im Computer oder bei der Sitzung, sackt die Wirbelsäule unweigerlich zusammen. Unser Körper denkt beim passiven Sitzen eigentlich, er könne jetzt ruhen und einschlafen.


Das schlechte Beispiel: Das Becken nach hinten gekippt und das Brustbein eingefallen. Bald werde ich gähnen.

Eines der Hauptprobleme ist das zusammensacken des Unterrückens. Das passiert als Folge des Druckes des Brustkorbes, der meistens nach hinten gepresst wird (Brustbein zieht sich ein, die zwei Muskelbanden am Unterrücken werden flach). Wir brauchen also eine Stütze für den Mittelrücken. Dazu reicht eine Jacke oder ein Pullover. Alternativ könnt ihr ein kleines Hand- oder Duschtuch verwenden. Dieses platzieren wir nun vertikal entlang der Wirbelsäule von der untersten Rippe an aufwärts (ihr klemmt es zwischen Rücken und Stuhl). So wird die obere Wirbelsäule gestützt und das Brustbein sinkt nicht ein. Kostet nichts und bringt viel.

Hier mit Jacke als Wirbelsäulenstütze (Brustbein bleibt aufrecht)

Alternativ können wir versuchen nach vorne zu lehnen. Der Rücken streckt sich dabei einigermassen. Meistens hält man diese Position aber nicht lange durch. Die Hüfte bleibt leider auch gebeugt und der Hals ist überstreckt (Kinn ist hoch). Am Besten nehmen wir Gewicht mit den Ellbogen auf, versuchen aber die Schulterblätter tief zu halten, damit die Schultergelenke nicht hoch gepresst werden.



Hier ist der Rücken gestreckt, aber die Hüfte ist nach wie vor gebogen.

Die Hüftbeuger sind auf Stühlen in einer ständigen Kontraktion (zusammengezogen, verkürzt). Nach langer Zeit verhärten sie sich (das Bindegewebe fixiert die Muskeln und erlaubt ihnen nicht mehr, sich in die normale Länge auszudehnen). Es gibt zum Glück Sitzungen, wo wenig Aufmerksamkeit auf uns lastet oder bei denen die Atmosphäre etwas Bewegung erlaubt. Jetzt hoffe ich für euch, dass die Stühle keine Armlehnen haben. Dann können wir so auf dem Stuhl sitzen, dass nur ein Sitzknochen auf der Sitzfläche liegt. Die Ferse des frei hängenden Beines können wir nun am Boden weit nach hinten stossen, bis wir eine Dehnung an der Hüfte spüren. Der Hüftbeuger ist nun lang. Braucht es gerade keine Aufmerksamkeit im Raum, könnt wir den Atem in die Dehnung lenken, um das Gewebe noch mehr zu lösen. Diese Dehnung können wir ruhig eine Weile halten.


So könnt ihr den Hüftbeuger im Sitzen langziehen.

Etwas, das ich häufig mache, wenn's diskreter sein muss: Ich rolle die Sitzknochen. Stellt euch vor, ihr sitzt auf einem Zifferblatt. Rollt nun die Sitzknochen zwischen 12 und 6 Uhr hin und her, danach zwischen 3 und 9 Uhr. Danach rund herum etc. Die Bewegung kann auch so klein sein, dass sie von aussen nicht sichtbar ist. So mobilisieren wir den Unterrücken und verstärken die Durchblutung der Beckenregion.

Ansonsten bleibt uns nichts übrig, als uns nach der Sitzung zu bewegen, um das Bindegewebe wieder zu lösen. Warum nicht nach Hause gehen statt Bus fahren? Oder mit den Arbeitskollegen Sport machen gehen, statt in die Bar zum Feierabend Bier? Alles, was euch zum leichten Schwitzen bringt, hilft: Die Durchblutung lockert uns auf. Nutzt den Abend, um den Rücken mal zu überstrecken: Geht ins Hohlkreuz. Macht den yoga "upward-facing dog"oder lehnt mit dem Rücken über das Seitenpolster eures Sofas, so dass ihr nach hinten gebogen werdet (Kopf hängt nach hinten zum Boden). Oder macht die folgenden beiden Übungen.


Vorderseite langziehen im Hohlkreuz
Hüftbeuger dehnen (Fäuste pressen auf den Unterrücken)

Ein weiterer Trick, wie wir Verspannungen lösen können, sind sehr kleine und langsame Bewegungen. Die langsamen und kleinen Bewegungen zwingen den Körper zur Entspannung, denn so könnt ihr nur bewegen, wenn das Gewebe locker ist. Wir können z.B. die Übung mit dem Zifferblatt im Stehen machen. Wir können einen Ball oder ein Tuch zwischen beiden Händen halten und mit dem Oberkörper sanft links und rechts rotieren. Meine Wirbelsäule knackt so fast immer. Spielt dazu ein gutes Musikstück und zieht es während dem ganzen Lied durch.





Wie fühlt ihr euch in langen Sitzungen? Welche Tricks habt ihr? Hinterlasst gerne einen Kommentar. Klickt das <3 für ein Like und teilt den Artikel gerne auf sozialen Medien, um uns zu unterstützen.


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